Shankara – ein Leben für Gott
Sich mit der Lehre und dem Leben des großen Yogis Shankara zu beschäftigen ist jedes Mal für jeden Menschen ein Aufruf zur Meditation und zugleich eine Offenbarung der Tiefe seiner eigenen Seele. Das gesamte Leben Shankaras ist eine ständige Selbstaufopferung an Gott gewesen.
Im Alter von 10 Jahren war er bereits ein großer Gelehrter
Shankara, auch Shankaracharya genannt, wurde oft als größter Philosoph aller Zeiten und als perfekter Yogi betrachtet und in Kaladi, in Kerala, auf der Westküste Indiens um 686 geboren. Historisch gesehen wissen wir wenig über ihn, trotzdem enthüllen zahlreiche faszinierende Legenden einige Tatsachen aus seinem asketischen Leben.
Als Kind ging Shankara zur Vedischen Schule. Es gelang ihm, die Essenz der heiligen vedischen Lehre zu durchdringen und er formulierte genaue Definitionen und tiefgründige Analysen bezüglich dieser Texte. Dadurch gründete er eine vollständige synthetische Philosophie. Mit zehn war er schon ein großer Gelehrter. Nicht nur las er alle traditionellen Lehren und prägte sie sich ein, sondern er schrieb auch schon Kommentare zu vielen von ihnen. Er trug diese Lehre aus einer hohen Perspektive an Gelehrte vor, die vom ganzen Land angereist waren aus Interesse, dieses Wunderkind, das als Inkarnation Shiva-s betrachtet wurde, zu begegnen.
Jedoch war das Kind unzufrieden. In einem Alter, wo alle Kinder gerade mal lesen lernen, verstand er bereits, wie oberflächlich das Wissen seiner Zeit war. Er sah, dass seine Lehrer nicht nach den hohen und reinen Wahrheiten, die sie verkündeten, lebten. In der Tat war die gesamte Gesellschaft, in der er lebte, hauptsächlich materialistisch ausgerichtet, denn Indien ging damals durch eine Zeit des spirituellen Verfalls. Voller Begeisterung und spiritueller Selbstaufopferung spürte Shankara tief in seinem Wesen seine göttliche Berufung und er beschloss voller Reife, und das schon als Kind, ein Beispiel aus seinem Leben zu machen, das die Menschen auf den leuchtenden Pfad der Wahrheit führen würde.
„Reflektiere über diese Dinge“
Zu dieser Zeit verstarb sein Vater. Der Junge war lange damit beschäftigt, das Thema von Leben und Tod zu verstehen. In seiner Suche nach dem Sinn der Existenz verzichtete er auf praktisch alles, was einen relativen Wert hatte. Danach schrieb er das Gedicht Moha Mudgaraiu – „Die Zersplitterung der Illusion“ in dem er fragte: „Wer ist deine Frau? Wer ist dein Sohn? Die Straßen dieser Welt sind in der Tat seltsam. Wem gehörst du? Woher kommst du? Groß ist deine Ignoranz, mein Lieber. Deswegen denke über diese Dinge nach und verehre Gott“. Shankara überzeugte seine Mutter, ihm das Ordensgelübde abgeben zu lassen und versprach ihr, sie nochmals zu besuchen bevor sie stirbt. Dann verließ er sie um nach einem wahren Meister zu suchen.
„Er ist mein Meister“
Am Ufer des Flusses Narmada begegnete er Gaudapada, einen großen Yogi, der das Wissen über die höchste Wirklichkeit erreicht hatte. Shankara bat den alten Mann, ihn zu initiieren, doch Gaudapada lehnte aufgrund seines Gelübdes ab, ständig vertieft in der Vereinigung mit Brahman zu verharren. Er schickte jedoch den Jungen zu seinem fortgeschrittensten Jünger Govindapada. Dieser initiierte ihn und unterrichtete ihm die Meditationstechniken und die gesamten Yogaverfahren. In kürzester Zeit erreichte Shankara die vollkommene spirituelle Befreiung und beschloss, ein spiritueller Meister für die Anderen zu werden.
Eines Morgens, als er zum Ganges ging, um das rituelle Bad zu halten, begegnete er einen Chandala, einen Mitglied der niedrigsten Kaste Indiens, die Kaste der Unberührbaren. Der Mann besaß vier Hunde, die den Weg von Shankara blockierten. Im ersten Moment tauchten die Vorurteile über die Kasten auf und der Brahman befahl dem Chandala, seinen Weg zu räumen. Doch der Andere antwortete: „Wenn es nur einen Gott gibt, wieso gibt es so viele verschiedenen Menschen? Wieso gibt es so viele Unterschiede, Kasten und Glauben?“ Der Yogi wurde von Scham und Respekt ergriffen. Er warf sich zu Boden, erfüllt mit Dankbarkeit für die Lektion, die er vor diesem Chandala erhalten hatte. Dieses Ereignis inspirierte ihn später für eines seiner schönsten Gedichte, Manish Panchaka. Es hat fünf Strophen und jede endet mit diesen Versen: „Derjenige der lernt, die einzige Existenz überall zu sehen; dieser ist mein Meister – gleich ob er ein Brahman oder ein Chandala ist“.
Die Grundlage seiner Lehre
Entsprechend der Anweisungen seines Gurus – die Lehre des Advaita Vedanta als Ort des Zusammenströmens aller mönchischen und dualistischen Ansichten wiederherzustellen, egal wie widersprüchlich sie scheinen mögen – machte sich der junge Mann auf dem Weg zu Varanasi, das alte Zentrum der vedischen Religion und Kultur. Er begann, die Lehre über die Einheit inmitten der Vielfalt zu verbreiten. In philosophischen Debatten mit Gelehrten, Leiter von unterschiedlichen philosophischen Schulen, stellte er die Überlegenheit seiner Lehre her. Hier traf er den ersten seiner Jünger, Sananda.
Von Varanasi aus reiste der große spirituelle Meister mit seinen Jüngern weiter nach Bgarinath, und gab dabei die Botschaft seiner Philosophie an die Menschen weiter. Er besuchte viele heilige Orte wie Prayag, Hardwar, Rishikes, Srinagar, Rudrapayag, Nadaprayag, Kamarupa und Gomukhi. Er verehrte die Götter, die er auf seinem Weg fand und bewies, dass ein Experte von Nirguna Brahman (transzendentaler Gott) nicht ohne Verehrung für Saguna Brahman (Gott, der in den Formen, Gottheiten, etc. erkannt wird) ist. In den ruhigen Höhen des Himalayas schrieb Shankara Kommentare zu zehn Upanishads, der Bhagavad Gita und den Brahma Sutras und gab so seiner Lehre eine feste Grundlage.
Die von Shankara offenbarte spirituelle Lehre ist vom strikten philosophischen Blickwinkel aus gesehen eine der wichtigsten und interessantesten, die je auf dem indischen Kontinent entstanden ist. Er reiste als Pilger von einem Ort zum anderen und sprach mit Leitern von unterschiedlichen Kulten und philosophischen Schulen. Durch sein unübertroffenes rednerisches Talent und unterstützt von einer tiefen Weisheit fuhr er fort, falsche Dogmen zu beseitigen und falsche Annahmen zu zerstören.
Shankara gründet Klosterorden
Shankara reiste lange Wege vier Mal quer über den großen Subkontinent. Er gründete vier Hauptklöster in allen vier Winden Indiens: Sringeri Math in den Springers Hügeln im Süden, Saradha Math in Dvaraka im Westen, Jyotiramath al Badarikasrama im Norden und Govardhana Math in Puri. Seine ersten vier Jünger machte er zu Äbte dieser Klöster. Er wies jedem Kloster eine Veda zu, nach der es sich richten sollte: Rig-Veda für Govardhana Math, Yajur-Veda für Sringeri Math, Sama-Veda für Sarada Math and Atharva-Veda für Jyotir Math. Shankara organisierte den gesamten mönchischen Kult in Indien in zehn gut vernetzten Orden (Dasanami Sampradaya). Es ist von Bedeutung, dass Sri Ramakrishna Paramahamsa, Prophet des modernen Indiens, der Jünger von Swami Totapuri Maharaj gewesen ist, der selber zu der Linie der Puri, einer der Dasanamis, gehörte. Dies ist der Grund, warum die Mönche des Ramakrishna Ordens grundlegend mit dem großen weisen Mann Sri Shankara verbunden sind.
„Diese Welt ist ein Paradies“
Das Leben auf Erden von Shankara endete in Kedarnath im Himalaya. Er war nur zweiunddreißig Jahre alt. Er war eher ein Reformator als ein Erneuerer. Er predigte keine neue Doktrin oder keinen neuen Glauben, dennoch gab er dem spirituellen Leben seiner Zeit einen sehr starken kreativen Impuls. Shankara brachte die reine Lehre der Vedanta wieder zum leuchten nach einer Zeit, wo sie aufgrund der Entwicklung des Buddhismus zurückgetreten war. Er wurde als ein Heiliger und als die Inkarnation Shivas betrachtet. In einem Abstand von tausend Jahren dominieren Buddha, Shankara und Ramakrishna wie drei Bergspitzen die religiöse Geschichte Indiens auf eine erhabene und gelassene Art. Shankara’s Werk ist riesig und erhaben. Nicht nur kommentierte er die Vedanta Sutras, sondern er schaffte auch zwei philosophische Hauptwerke: Upadeshasahasri und Viveka Chudamani (das spirituelle Urteilsvermögen, der wertvollste Schmuck). Er ist auch der Autor von vielen Gedichten, Hymnen, Gebeten und Arbeiten, die sich auf die Vedanta Philosophie beziehen. Sein Werk zeigt, dass Shankara mehr durch Jnana Yoga angezogen war. Jedoch besaß er eine große Kraft der Liebe. Verzicht, Urteilsvermögen und Selbstkontrolle waren seine Schlüsselwörter. Shankara war der Illusion dieser Welt, Maya, nicht unterworfen. Deshalb konnte er so klar die gesamte Transformation des Universums beschreiben, die unter den Augen des befreiten Hellsichtigen stattfindet. Wenn die Verschmelzung mit Gott gelebt wird, wenn alle Wesen und Phänomene in der wirklichen Beziehung zu Gott gesehen werden, dann „ist diese Welt ein Paradies“, sagt Shankara.