Die Menschheit hat ihm viele Namen gegeben, hat sich ihm in zahlreichen Beschreibungen angenähert, hat in seinem Namen viel Gutes erbracht aber auch viel Unmenschliches angestellt. In der heutigen modernen Welt, die das Materielle über alles stellt und das Geistige immer mehr verdrängt hat, ist das Wort Gott für viele bedeutungslos geworden oder sogar negativ belegt, wird fälschlicherweise auf die kirchlichen Institutionen beschränkt, von denen man sich vielleicht sogar abgewendet hat.

Doch wer oder was ist denn eigentlich Gott? Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten, in sich finden, jenseits der Namen und Worte. Die größte Krankheit, an der die heutige Gesellschaft leidet, ist der Verlust der Fähigkeit, nach innen zu schauen. Wir sind ständig nur aufs Außen gerichtet, suchen dort unser Glück, finden dort unser Leid, klagen andere an anstatt uns selbst zu entwickeln. Den Blick nach innen zu wenden erfordert nicht nur das Wissen, dass wir mehr sind als bloße Materie, sondern auch Mut, denn unser Wesen enthält eine reichhaltige und nicht immer ansehnliche Ansammlung vergangener Taten, verdrängter Erlebnisse, schmerzhafter Verletzungen. Auf dem Weg nach innen geraten all diese wieder in unser Blickfeld und wir ziehen meist den bequemeren Weg vor – und sehen einfach nicht hin, flüchten uns in die Oberflächlichkeit, lenken uns ständig ab durch Fernsehen, Radio, Smalltalk. Dabei könnte die Frage „Na wie geht’s dir?“ die Eingangspforte für das eigene Universum sein – wenn wir einmal tatsächlich reinhören und uns fragen würden: Ja, wie geht’s mir eigentlich? Wie FÜHLE ich mich denn gerade, welche Gefühle sind gerade dominant in meinem Wesen? Was DENKE ich gerade, wie stark rauscht der endlose Strom der Gedanken gerade durch meinen Kopf und von welcher Art sind diese? Welche Welt erschaffe ich mir gerade durch sie, ist es eine positive schöne Welt oder eine Welt aus Angst und Leid? Wie fühlt sich mein KÖRPER gerade an, geht es ihm gut, behandle ich ihn mit Respekt und Verantwortungsbewusstsein und erhalte ihn stark und gesund? Wie verhalten sich die energetischen Ebenen meines Wesens, die feinstofflichen Körper, die meinem physischen Körper zugrunde liegen?

Wir sind es zu sehr gewohnt, all die Verantwortung abzugeben. Wir fragen uns oft nicht mehr, was uns und unserer Entwicklung wirklich gut tut, was unser Herz begehrt, nach unseren inneren Bestrebungen und Träumen. Wir begnügen uns nur zu oft aus Bequemlichkeitsgründen und Unwissenheit damit, halt einfach mal mitzumachen, einfach mal ein bisschen mitzuleben. Aktives Leben, Erleben, Ausleben, in Fülle und Wohlbefinden leben ist uns fremd. Und wenn wir krank werden, gehen wir zum Arzt, denn unsere Gesundheit ist schließlich seine Aufgabe, nicht unsere. Wir sind eine Gesellschaft der blauen Pille geworden, wir möchten nichts mehr selbst tun müssen, wollen für alles ein buntes Pillchen, das uns ohne Aufwand das gibt, was wir uns wünschen und uns hilft, dass wir nicht hinsehen müssen. Der Verlust der Auseinandersetzung mit uns Selbst, mit unserer Seele, diese Abwendung vom Geistigen kommt uns teuer zu stehen, denn unser Leben verbleibt oft nur noch als leere und Sinn-lose Hülle zurück, jeglicher Lebensaufgabe der individuellen Entfaltung, die doch unser höchstes Ziel darstellt, beraubt. Wir funktionieren nur noch nach allgemeinen vordiktierten Schemen, statt uns nach unserer eigenen inneren Natur zu entfalten und zu entwickeln.

Beginnen wir erst einmal, nach dem größeren Sinn zu fragen, der den Dingen zugrunde liegt, so stossen wir unvermeintlich auf die Frage nach einem Höchsten Prinzip, aus dem alles entsprang. Dieses Höchste Prinzip, diese Quelle allen Seins, muss dann wohl das sein, was wir als Gott bezeichnen. Doch wo finden wir es?

Das Göttliche ist HIER und JETZT, es ist IN UNS selbst und überall UM UNS herum, es manifestiert sich als die Kraft der vereinigenden LIEBE, denn es ist die Höchste EINHEIT. Es kann keinen „mein Gott“ und „dein Gott“ geben, und es ist dieser fatale Irrtum, an dem so viele Religionen scheitern, indem sie die ANDEREN als nicht-göttlich verkennen, der uns Menschen uns selbst so viel Leid zufügen lässt. Es gibt ein Höchstes Göttliches Bewusstsein, aus dem alles entspringt, und von dieser Höchsten Realität aus betrachtet gibt es nicht etwas Anderes, nur in der Welt der Illusion, Maya, haben wir aufgrund unserer Ignoranz den Eindruck eines ICH und des ANDEREN, den Eindruck der Getrenntheit. Aus diesem Gefühl der Getrenntheit heraus handeln wir gegeneinander, das ANDERE wird oft als Gefahr für das eigene ICH betrachtet, und um sich größer zu fühlen werden die Anderen kleiner gemacht, dies geschieht im kleinen familiären Rahmen mit verbalen Waffen ebenso wie im nationalen Rahmen mit Atomwaffen – der Maßstab ist ein anderer, doch das zugrunde liegende Missverständnis das gleiche.

Warum sollte es aber etwas geben, das Hier und Jetzt allem zugrunde liegt, alles durchdringt, alle Erscheinungen ins Leben ruft? Macht man sich das Kausalitätsgesetz bewusst, nachdem alles Ursache und Wirkung hat, so muss man zwangsläufig zu einer ersten Ursache gelangen. Es muss eine Quelle geben, aus der alles entspringt, aus der selbst Raum und Zeit entstehen, und die selbst jenseits davon existiert. Es muss ein Bewusstsein geben, in dem diese Schöpfung stattfindet, es muss eine Leinwand geben, auf welcher der Film des Lebens projiziert ist. Wenn wir uns das Göttliche als eine Person irgendwo da draußen vorstellen, ist es kein Wunder, dass wir uns getrennt fühlen und einen schweren Zugang zur Einheit und Liebe haben. Doch machen wir uns die Tatsache bewusst, dass alles, uns eingeschlossen, aus der gleichen Quelle entspringen muss, entdecken wir das, was man als Gott benennen kann, was jedoch jenseits jeglicher Namen und Formen existiert. So wie wir den Wind nicht sehen können, jedoch die Bewegung der Blätter wahrnehmen, so ist es das Göttliche, das wir als die Ursache jeglicher Energie, jeglicher Erscheinung entdecken können. Dann erkennen wir auch, dass es falsch ist zu glauben, dass wir ein Leben HABEN. Wir erkennen, das wir das Leben selbst SIND! Wir entdecken somit unsere eigene Göttlichkeit, den göttlichen Funken in uns, der im Yoga als Höchstes Selbst ATMAN bekannt ist. Wir erkennen, dass wir nicht menschliche Wesen sind, die spirituelle Erfahrungen machen, sondern spirituelle Wesen, die menschliche Erfahrungen machen. Und damit entdecken wir auch die volle Verantwortlichkeit für unser eigenes Leben und das Ziel des Mensch-Seins: Das Göttliche Bewusstsein, das Sich durch uns Seiner Selbst bewusst wird.

Wer sich dieser Wahrheit in sich selbst nähert, der hat das Paradies wieder gefunden, das niemals verloren war, denn es existiert seit jeher in uns. Wir haben nur leider verlernt, dort hinzusehen.

„Gott schläft im Stein, erwacht in den Pflanzen, fühlt im Tier und wird sich seiner selbst bewusst im Menschen.“
Sufi-Weisheit

 

Ein Artikel von Sofian Krüger