Ausschnitte aus dem Werk „Karma Yoga – unmittelbares Yoga im täglichen Leben“
von Yogalehrer Gregorian Bivolaru
Motto: „Vollbringe in einem Zustand der Losgelöstheit was getan werden muss, was auch immer es ist, und verlange niemals nach den Früchten Deiner Taten.“
Karma Yoga stellt eine der vier klassischen Hauptformen des Yoga dar. Karma Yoga repräsentiert einen Ausgangspunkt und ist ein essentieller Bestandeil der Lehren aus der Bhagavad Gita, dies dient als eine ausreichende Grundlage für seine Authentizität. Genau wie in alle anderen Formen des Yoga ist der hauptsächliche und letztendliche Zweck des Karma Yoga, die spirituelle Entwicklung des beständig Praktizierenden zu ermöglichen und zu beschleunigen. Der größte Unterschied zu allen anderen Formen des Yoga ist, dass Karma Yoga von Anfang an sehr gut ausgeübt werden kann, und dass es die gesamte Zeit, den ganzen Tag angewendet werden kann, weil es auf alle menschlichen Aktivitäten anwendbar ist. Verglichen mit dem Karma Yoga ist zum Beispiel die ununterbrochene Praxis des Bhakti Yoga nur auf einer hohen Ebene der Fertigkeiten möglich, und die Praxis des Jnana Yoga (mit seiner wichtigsten Form, dem Hatha Yoga) ist auf bestimmte Zeitspannen des Tages und eine gewisse Dauer beschränkt. Diese Argumente führen zu der Schlussfolgerung, dass Karma Yoga eine augenblickliche Form von Yoga für das tägliche Leben ist.
Von den verschiedenen traditionellen Definitionen des Karma Yoga ist die häufigste und genaueste, wenn auch nicht vollständige, die Folgende: „Karma Yoga ist das Yoga der tiefen und eingehenden Verschmelzung mit dem Göttlichen durch jegliche selbstlose Handlung.“ Karma Yoga geht von der Tatsache aus, dass in jedem gegebenen Moment unseres täglichen Lebens, auch dann wenn wir uns gezwungen fühlen, auf die eine oder andere Weise zu handeln, wir frei bleiben zu wählen und die volle Verantwortung für unsere Handlungen tragen. Der Gebrauch jeglicher spiritueller Disziplin – Yoga, oder jedes anderen spirituellen Pfades – impliziert die Existenz des freien Willens, sowohl in Bezug darauf, sein eigenes Leben zu lenken, als auch in Bezug auf die Wahl der Methode, um dies zu tun. Die grundsätzliche Frage, bei der uns Karma Yoga zu einer Antwort verhilft, ist: Wie und warum sollten wir zu einem gegebenen Zeitpunkt zwischen zwei oder mehr Handlungsmöglichkeiten wählen? Durch dauerhaftes Praktizieren können wir herausfinden, dass Karma Yoga uns mehr Freiheit gibt, wie unglaublich sich das auch für westliche Menschen anhören mag.
Viele zeitgenössische Weise, wie Sri Ramakrishna oder Sri Aurobindo haben gezeigt, dass Karma Yoga sehr gut an die modernen Zeiten angepasst und für alle Menschen geeignet ist, sogar eher als Bhakti Yoga, das sich nur für Menschen mit starken religiösen Neigungen eignet (was heutzutage sehr selten ist). Karma Yoga eignet sich für alle Menschen sogar besser als Raja Yoga, das eine intellektuelle Bemühung erfordert, die über die Möglichkeit des gewöhnlichen Individuums hinausgeht, und ebenso besser als Jnana Yoga, bei dem eine starke Konzentration und Verinnerlichung erforderlich ist (gegenwärtig ebenfalls eine sehr seltene Eigenschaft). Karma Yoga ist leichter zu praktizieren, weil es nicht all dieser Talente bedarf. Und mehr noch eignet sich Karma Yoga ausgezeichnet für westliche Menschen, die immer bereit zu handeln sind und dem Wert spiritueller Praktiken, die die Menschen vom praktischen Leben in einer materiell orientierten Gesellschaft entfernen, mehr oder weniger skeptisch gegenüber stehen.
Hervorzuheben ist auch, dass das Praktizieren von Karma Yoga keineswegs die gleichzeitige Praxis von einer oder mehreren anderen Formen des Yoga ausschließt, sondern im Gegenteil deren Effizienz vergrößert. Diese Kombination mit anderen Formen des Yoga ist nicht essentiell, denn auch wenn Karma Yoga alleine praktiziert wird, reicht es alleine zur Erlangung der höchsten Stufe der spirituellen Verwirklichung aus. Karma Yoga hat auch einen großen Vorteil, den es bei den anderen Formen des Yoga nicht gibt. Während Bhakti Yoga, Raja Yoga, Tantra Yoga, Hatha Yoga und sogar Jnana Yoga ernsthafte physische oder mentale Störungen mit sich bringen können, wenn sie inkorrekt, ohne sorgsame Aufsicht und Führung eines kompetenten Meisters praktiziert werden, hält Karma Yoga keine Gefahren für den Praktizierenden bereit, auch wenn dessen Wissen lediglich auf geschriebenen Lehren beruht.
Diesbezüglich folgen nun verschiedene Zitate zeitgenössischer Meister:
Swami Vivekananda: „Auf dem Weg des Bhakti Yoga besteht die große Gefahr, dass die empfängliche Seele flüchtige Emotionen als spirituelle Enthüllungen missversteht und gewöhnliches Streben als wahrhaft spirituelles Streben interpretiert.“ (Practical Yoga)
„Wir können Raja Yoga nur mit wenigen Ausnahmen gefahrlos erlernen, außer durch direkte Führung eines echten spirituellen Gurus“ (Vorwort zu Raja Yoga)
Sri Ramakrishna: „Der Jnana Yogi sagt: ‚Ich bin das‘, aber solange wir unseren Körper für unser unsterbliches Selbst halten ist dies nur unglückselige Selbstgefälligkeit. Es wird uns nicht zum Fortschritt verhelfen, sondern uns in den Verfall führen.“(Teachings of Ramakrishna)
Swami Brahmananda, der seine innerlich geläuterten Schüler ermutigte, bestimmte Asanas und Formen von Pranayama zu praktizieren, sagte ihnen später: „Bezüglich der Hatha Yoga-Praktiken – vermeidet sie, wenn ihr nicht schmerzhafte Konsequenzen ertragen wollt. Hatha Yoga ist ein sehr gefährlicher Weg, wenn er in Ignoranz, ohne die Führung eines kompetenten Meisters ausgeübt wird.“ (Spiritual disciplines)
Es sei an dieser Stelle hinzugefügt, dass das Karma Yoga-System fast frei von metaphysischen oder religiösen Konzepten ist und sogar im fortgeschrittenen Zustand des Praktizierens keine Hilfe irgendeiner physischen Disziplin oder Diät erfordert, auch wenn selbstverständlich der Karma Yogi ebenfalls sein Bestes geben sollte, um gesund zu bleiben.
Das Hauptziel im Karma Yoga
Swami Vivekananda beschreibt das Ideal des Karma Yoga folgendermaßen: „Das ideale menschliche Wesen ist dasjenige, das inmitten der tiefsten Stille und der größten Einsamkeit die intensivste Aktivität findet, und dasjenige das inmitten der intensivsten Aktivität die Stille und die Einsamkeit der Wüste findet.“
„Der Karma Yogi braucht nicht an irgendeine Doktrin zu glauben. Er braucht noch nicht einmal an Gott zu glauben, er braucht sich nicht zu fragen, was die Seele ist und er muss sich von keinerlei metaphysischer Spekulation angezogen fühlen“. (Practical Yoga)
Doch da die spirituellen Meister aus dem Orient, dessen Lehren wir geerbt haben, alle zutiefst religiös waren, ist es nicht überraschend, dass sie Karma Yoga aus dieser Perspektive interpretieren.
Sri Ramakrishna sagt: „Karma Yoga ist der spontane Einklang mit Gott durch das Handeln“.
Aus der Perspektive des Bhakti Yoga System kann diese Interpretation gesehen werden als die Offenbarung des Göttlichen durch die Liebe und aus der Perspektive des Jnana Yoga System als das Streben nach der Bewusstwerdung des Absoluten Göttlichen.
Ramakrishna sagte auch „Das höchste Ziel im Karma Yoga ist das gleiche wie in allen anderen Formen des Yoga auch: die Offenbarung des Höchsten Ewigen oder des Unpersönlichen Göttlichen.“
Sri Aurobindo: „Die losgelöste Aktivität ist sehr oft das einzig notwendige Instrument für die unaussprechliche Vereinigung mit dem Meister der Schöpfung.“
„Alle Aktivitäten in einer intimen Verschmelzung und in tiefer Vereinigung mit dem Göttlichen auszuführen, das in uns ist, in einer tiefgründigen Harmonie mit dem Universum um uns herum und mit dem Transzendenten jenseits von uns, uns nicht durch unseren oftmals trennenden und unbeugsamen menschlichen Verstand begrenzen zu lassen, nicht der Sklave seiner ignoranten oder irrtümlichen Befehle und seiner engstirnigen Suggestionen zu sein, das ist Karma Yoga.“ (Integral Practical Yoga)
Die Wirksamkeit des Karma Yoga-Systems
Unabhängig von der Art und Weise, wie man sein spirituelles Ziel darstellt, man wird dieses durch die eine oder andere Form des Yoga erreichen. Egal welche Form das Einssein mit dem Göttlichen annimmt, können das Erreichen der Bewusstseinsebene des Absoluten, die Verankerung des Bewusstseins in der Höchsten Wahrheit oder sogar eine größere Freiheit im Leben – all diese Ziele, welche im Hinduismus durch den Begriff „Befreiung“ (Moksha) bezeichnet werden – genauso gut wie durch andere Yoga-Arten auch durch Karma Yoga verwirklicht werden und dies oft sogar sehr leicht. Hierzu einige Zitate berühmter Weiser:
Swami Sivananda sagt: „Viele glauben, Karma Yoga sei eine minderwertige Form des Yoga, aber das ist ein großer Irrtum.“
Rabindranath Tagore schreibt Folgendes über Karma Yoga: „Viele meiner Mitbürger denken fälschlicherweise, dass Handeln im Widerspruch zu Freiheit steht.“
„Man wird nie etwas Bezeichnendes erreichen, wenn man versucht, das Unendliche nur außerhalb des Bereichs des Handelns zu erreichen.“
Er fügt noch hinzu: „Wenn man erklärt, dass man Brahman (das Höchste Göttliche) nur durch Innenschau erreichen möchte und Ihn während der äußerlichen Handlungen beiseite lässt, wobei man der Meinung ist, dass man sich seiner Anwesenheit nur durch die Liebe im Herzen erfreuen möchte, ohne ihn auf eine andere, äußerliche Art und Weise zu verehren, oder wenn man denkt, dass nur das Gegenteil wahr ist, dann erschwert man selbst seine Arbeit auf dem langen Weg zur Wahrheit und stellt damit selbst die Weichen für verhängnisvolle Fehler.“ (Sadhana)
Sri Ramakrishna meint: „Wenn sie ohne Anhänglichkeit durchgeführt wird, wird die Handlung zu einem einfachen Weg das wahre Ziel des Lebens zu erreichen – die Verschmelzung mit Gott.“
Swami Vivekananda sagt: „Durch einfache losgelöste Aktivität kann das menschliche Wesen leicht hinkommen, wohin Buddha allein durch Meditation und Jesus Christus durch Liebe und Gebete gelangte“ (Practical Yoga).
Auch wenn diese Aussage für einige Christen schockierend klingen mag, zeigt sie dennoch, dass für Swami Vivekananda Karma Yoga ebenso effizient wie Raja Yoga oder Bhakti Yoga auf deren höchster Stufe ist.
Ma Ananda Moy behauptet: „Wer Karma Yoga beharrlich praktiziert, wird schnell Brahman (das Höchste Göttliche) als Absolutes Bewusstsein verwirklichen und zudem die Gnade der Göttlichen Mutter erhalten“. (Teachings of Ma Ananda Moy)
Für denjenigen, der sorgsam die hinduistische Spiritualität studiert, ist es offensichtlich, dass dies objektive Ziele sind, die auch im Jnana Yoga und Bhakti Yoga angestrebt werden.
Swami Ramdas, der allein durch den Pfad des Bhakti Yoga die spirituelle Befreiung erreichte, stellte danach fest: „Nicht dadurch, dass man aufhört zu handeln, sondern dadurch, dass man vollständig verhaftungslos handelt, kann man leicht den allerhöchsten Zustand der Glückseligkeit und Befreiung erreichen.“ (Briefe)
Swami Brahmananda, der „spirituelle Sohn“ von Sri Ramakrishna, sagt seinen Schülern: „Man kann die Höchste Erkenntnis auch nur durch beharrliche Teilnahme an verschiedenen Handlungen, die man dem Göttlichen widmet, erreichen.“ (Monastic disciplines)
Der große Weise Ramana Maharishi, ein kompromissloser Jnana Yogi, sagt: „Die Handlung, die frei von Begehren ist, wobei man sich von ihren Früchten vollständig loslöst, ist der mit Übungen verbundenen Erkenntnis weit überlegen.“ Er stellt zudem voller Einfachheit fest: „Der Zustand, in dem die Durchführung der Handlung frei von Begehren ist, ist der Weg, der leicht zur Befreiung führt.“(Teachings of Ramakrishna)
Zusammenfassend kann man sagen, dass jede Handlung, die im Geist des Karma Yoga ausgeführt wird, gleichgültig wie unbedeutend sie auch sein mag, einem helfen kann, einen Schritt vorwärts auf dem Pfad der Befreiung zu machen.
Karma Yoga und das Verantwortungsgefühl
Wir haben gesehen, dass das Karma Yoga System allgemein gesprochen in vier Prinzipien zusammengefasst werden kann:
- Betrachte keine losgelöste Handlung als sei sie ohne Bedeutung, vernachlässigbar und unvereinbar mit der Lebensrolle, von der wir denken sie als Karma Yogis spielen zu müssen.
- Begehre oder fürchte nicht egoistisch die Ergebnisse deiner vollkommen losgelösten Handlungen, die du als göttliches Instrument vollbringst.
- Binde dich selbst nicht egoistisch an die Handlung, während du sie losgelöst ausführst.
- Weder während einer Handlung noch danach solltest du dich selbst als Urheber dieser Handlung betrachten, sondern als das Instrument, durch das sich Gott manifestiert.
Die letzten drei Punkte können, falls missverstanden, leicht zu einem Zustand des völligen Desinteresses (das eine Manifestation der Selbstsucht ist!) gegenüber der Handlung, die getan werden muss, führen. In diesem Fall werden wir die Handlung oberflächlich, hastig, „egal wie“ durchführen, weil wir uns nun nicht mehr verantwortlich fühlen. Dies ist genau das Gegenteil von dem, was Karma Yoga in Wirklichkeit ist. Tatsächlich überträgt Karma Yoga seinen Praktizierenden eine größere Verantwortung. Dies ist auf zwei Arten offensichtlich:
- Die schwierige Verantwortung, unter all den existierenden Möglichkeiten diejenige zu wählen, die dem höchsten göttlichen Ideal des gegenwärtigen Moments entspricht. Es ist unmöglich, dieser Verantwortung zu entgehen oder sich vor ihr hinter einem Dogma oder einem Gesetz zu verstecken.
- Die Verpflichtung, mit aller Macht und in einem perfekten Zustand der Losgelöstheit diese spezifische ausgewählte Handlung auszuführen. Dies beinhaltet, dass es während dieser Handlung von Zeit zu Zeit notwendig ist, Momente der Reflektion und Widmung an das Göttliche vorzusehen. Diese Momente sind erforderlich, um diese beiden Vorraussetzungen gut zu erreichen.
Wie Sri Aurobindo seinen Schülern geschrieben hat: „Faulheit muss natürlich ausgemerzt werden, aber manchmal ist es offensichtlich für mich, dass du zu weit in die entgegen gesetzte Richtung gegangen bist. Es ist erforderlich, vollkommen losgelöst zu handeln, mit aller sodann vom Göttlichen dargebotenen Energie, aber es ist gleichwohl notwendig manchmal überhaupt nicht zu handeln.“ (Practical Integral Yoga)
„Zu viel ununterbrochene Arbeit wandelt manchmal die Qualität der Handlung, unabhängig vom Erleben vom Enthusiasmus desjenigen, der sie tut.“
Die charakteristische Schwierigkeit des Karma Yoga Systems
Wir sollten uns niemals vorstellen, dass die Perfektion und die wundervolle innere Bewusstwerdung, die durch das Karma Yoga System ermöglicht wird, einfach zu erreichen sind. Selbst das korrekte intellektuelle Verstehen seiner Regeln und deren einwandfreie Anwendung ist alles andere als einfach. Kanna sagt in der Bhagavad Gita: „In Bezug auf das, was losgelöste Handlung und Nicht-Handlung tatsächlich sind, sind sogar Weise manchmal unsicher und manche von ihnen irren sich. Wir müssen das Konzept von losgelöster Handlung, falscher Handlung und Handlungslosigkeit gründlich verstehen. Hier ist große Weisheit notwendig, da der Pfad der Handlungen häufig sehr kompliziert ist.“
Sri Ramakrishna spricht regelmäßig über die Schwierigkeiten in der Karma Yoga Praxis:
„Nishkarma Karma (die Handlung, die von der selbstsüchtigen Begierde nach ihren Früchten losgelöst ist) ist sehr schwierig.“ (Teachings of Ramakrishna)
„Die vollkommen selbstlose Handlung ist sehr schwierig, besonders in unserer Zeit. Ohne egoistische Anhänglichkeit zu handeln ist außerordentlich schwierig.“
Und Swami Vivekananda beobachtet mit einer gewissen Enttäuschung: „Die Person, die für fünf Tage oder nur für fünf Minuten vollkommen losgelöst handeln kann, ohne was auch immer für ein egoistisches Motiv, ohne irgend einen Gedanken an die Zukunft, an die Belohnungen des Himmels, an Erfüllung, an Bestrafungen oder irgendetwas anderem solcher Art, wird augenblicklich ein kraftvoller spiritueller Gigant werden.“ (Practical Yoga)
Sri Ramakrishna riet seinen Schüler folgendermaßen zu denken: „Ich stelle mir vor, meine Taten mit Losgelöstheit zu vollbringen, aber ich weiß nicht sicher in welchem Ausmaß dies eine Illusion ist und ob ich nicht eigentlich ein wenig angehaftet handle. Ich tue wohltätige Handlungen, nicht wissend ob ich in Wirklichkeit auf diese Weise versuche, im Ansehen der Menschen hervorzutreten.“ (Teachings of Ramakrishna)
Und Sri Aurobindo sagte: „Karma Yoga ist ein rascher Pfad, einfacher als die yogische Meditation, unter der Vorraussetzung, dass der Verstand nicht auf Karma, sondern ausschließlich auf das Göttliche ausgerichtet ist.“ (Practical Integral Yoga)
Ma Ananda Moy fügt hinzu: „Die Handlung, die vollständig an Gott gewidmet ist, ist viel wertvoller als die Handlung, die unter dem Impuls unserer eigenen Begierde ausgeführt wird. Die Erstere bewirkt die göttliche Verschmelzung, die uns zur Erleuchtung führen wird und die Letztere hat als Ziel das selbstsüchtige Vergnügen, das zu immer mehr Erfahrungen in dieser Welt führen wird. Die einzige wahre Handlung ist diejenige, die die ewige Verschmelzung zwischen dem menschlichen Wesen und Gott offenbart; die anderen Handlungen sind nutzlos, unwürdig „Handlung“ genannt zu werden und deshalb können wir sagen, dass sie überhaupt keine Handlungen sind.“ (Teachings of Ma Ananda Moy)
Das Verbinden von Karma Yoga mit anderen Yoga-Arten
Übrigens wird die Ausübung des Karma Yoga beachtlich erleichtert – auch wenn dies nicht unbedingt notwendig ist – wenn man es mit anderen Yoga-Arten verbindet, insbesondere mit Bhakti Yoga, Hatha Yoga, Raja Yoga, Tantra Yoga oder Laya Yoga.
Das ist eines der Hauptthemen der Lehre Krishnas in der Bhagavad Gita. Hierzu seien einige Zitate dargeboten:
„Unterwirf und schenke alle deine Taten dem Göttlichen.“
„Egal was du tust, tue es losgelöst als ein Opfer an mich. So wirst du frei von den guten oder schlechten Ergebnissen sein, welche die Ketten des selbstsüchtigen Handelns bilden.“
„Handle stets losgelöst, nur durch deine Liebe zu mir angetrieben.“
„Den Ursprung aller Lebewesen und den Durchdringenden des gesamten Universums – nur wenn man Ihn durch selbstlose Aktivität anbetet, kann man mit Leichtigkeit Perfektion erlangen“.
Für Swami Vivekananda ist das Darbieten aller Handlungen und Aktivitäten an Gott eine „viel leichtere Methode“. (Practical Yoga)
Auch für Sri Aurobindo ist Karma Yoga am wirksamsten, wenn „man seinen eigenen Willen und seine eigensüchtigen Begierden dem Göttlichen Willen unterwirft“. (Practical Integral Yoga)
Sri Ramakrishna sagte denen, die um Rat bittend zu ihm kamen: „Bete zu Gott, dass er Dir Seine Gnade und die Kraft schenkt, Deine Pflichten selbstlos zu bewältigen, ohne auf einen inneren oder äußeren Lohn zu hoffen und ohne Angst vor Bestrafung in dieser oder einer anderen Welt zu haben.“ (Teachings of Ramakrishna)
Bezeichnenderweise unterstreicht Krishna gleichermaßen die bedeutende Rolle der spirituellen Erkenntnis und der Intelligenz (mit anderen Worten des Jnana-Yoga) beim Praktizieren von Karma Yoga: „Dies ist die Intelligenz, von der du im Samkhya gehört hast; höre nun, was Yoga dich lehrt: Wenn du durch diese Intelligenz im Zustand des Yoga bist, oh Sohn des Pritha, wirst du für immer die Sklaverei den Handlungen gegenüber beseitigen.“ Eigentlich vervollständigt Karma Yoga (auch sekundär) jede andere Form von Yoga (die man dann hauptsächlich praktiziert), unter anderem: Raja Yoga, Tantra Yoga, Hatha Yoga, Laya Yoga und Bhakti Yoga.
Für Sri Aurobindo „ist die völlig losgelöste Aktivität, die als eine Form der spirituellen Übung vollbracht wird, eine sehr starke Methode“ in jeder Yoga-Art.
Swami Ramdas stellt gerechtfertigter Weise fest: „Ohne Karma Yoga ist das Praktizieren von Jnana Yoga, Bhakti Yoga, Hatha Yoga, Tantra Yoga und Laya Yoga nichts anderes als ein übermäßiger spiritueller, verherrlichter Egoismus.“ (Briefe)
Vollständige Freiheit durch Karma-Yoga
Jeder authentische spirituelle Pfad, jede Religion, jedes wichtige philosophische System drückt auf eine bestimmte Weise das grundsätzliche Streben des Menschen nach Befreiung aus. Bewusst oder unbewusst entwickelt sich alles in diesem Universum schneller oder langsamer zum selben essentiellen Ziel hin. Dieses Universum, auch wenn es gigantisch ist, ist nur ein Teil einer unendlichen Existenz. Eingezwängt in eine bestimmte Form, die gebunden ist an Raum, Zeit und Bestimmung (Kausalität), nehmen wir Teile dieses Universums mit unserem Verstand und unseren Sinnen wahr (wir können es sehen, fühlen, berühren, hören), wir können mit unserer Vorstellung zeichnen, wir können seine feine Einflusskraft wahrnehmen und wir können seine spezifischen Prinzipien und Gesetze der Manifestation beschreiben.
Das Universum, das wir wahrnehmen, vor dessem Hintergrund unser Dasein sich entfaltet, wird in unserem Verstand als endlich und begrenzt widergespiegelt. Dieses Spiegelbild ist in seiner Essenz unsere mentale Schöpfung. Jenseits der Grenzen dieser mentalen Schöpfung, in anderen Worten jenseits unserer üblichen geistigen Möglichkeiten, haben die Gesetze und Prinzipien des objektiven Universums fast keine Entsprechungen. So ist es für den Weisen klar, dass das grundsätzliche Gesetz von Aktion und Reaktion vollkommen plausibel ist und in den Grenzen „unseres Universums“ funktioniert. Jenseits ihrer Grenzen hängt unsere Existenz nicht mehr von diesem Gesetz ab, weil das Gesetz der Ursache nicht über die Grenzen dieses von unserem Verstand erschaffenen Universums hinausgeht. Deshalb ist es klar, dass unser Dasein in diesem Universum unumgänglich von dem Gesetz der Ursache (Karma) abhängt.
In diesem durch unsere eigene Wahrnehmung begrenzten Universum gibt es von einem bestimmten Blickwinkel aus offensichtlich keinen freien Willen, weil der Wille selbst, indem er etwas darstellt, das wir durch die begrenzten Hilfsmittel „unseres Universums“ zu erkennen versuchen, in seiner Manifestation durch Raum, Zeit und Kausalität bedingt wird. Als solches kann nichts, was vom Gesetzt der Ursache abhängt, völlig frei sein, denn es wird durch andere Faktoren beeinflusst und wird so ebenfalls zu einer Ursache. Nichtsdestotrotz manifestiert sich jenseits der begrenzten Sphäre dieses Universums, das durch unseren Verstand bedingt und beschränkt ist, ein Absolutes Prinzip. Die Manifestation dieses Prinzips entspricht der Manifestation des menschlichen Willens. Dieses Prinzip, das jenseits der Wirkungen des Gesetzes der Kausalität liegt, ist völlig frei von all den Gesetzen der Makrokosmischen Harmonie.
Es ist normal daraus zu schließen, dass wir, um diese vollständige Freiheit zu erlangen, ganz und gar fähig sein müssen, jenseits der Grenzen unseres begrenzten und bedingten Universums zu gehen. Diese wesentliche Überschreitung zeigt sich tatsächlich durch den Übergang vom begrenzten Bewusstseinsniveau zum höchsten Bereich der wesentlichen, ewigen und perfekt freien Werte. Dieser Übergang, der uns absolute Freiheit gibt, benötigt eine bestimmte innere Veränderung, die auf Wissen, Verständnis und der Erhebung über alles, was begrenzt, falsch und vergänglich in uns ist (all dies macht unser Ego aus), basiert. Um unser Ego wirklich zu transzendieren ist es nötig, seinen Manifestationseinfluss zu kennen. Alles, was in unserem Wesen neue Bindungen schafft und uns an dieses Universum fesselt, repräsentiert den Bereich der Aktionen des Egos. Unsere Sinne, Gedanken, Körper, Verstand, Ansichten, Vorurteile und Vorstellungen tragen alle in einem größeren oder geringeren Ausmaß den Abdruck unseres Egos.
Karma Yoga lehrt uns, wie wir durch uneigennützige und völlig losgelöste Handlungen diese Neigungen unterdrücken können, die uns ständig ihre Tentakel entgegenstrecken und die sich durch unsere grundsätzliche Selbstsucht manifestieren. Indem wir alle Formen selbstsüchtiger Anhaftungen schrittweise aufgeben, durch ständige und mühelose Kontrolle unserer mentalen Fortschritte, durch völlig losgelöstes und niemals durch Selbstsucht motiviertes Handeln, durch unser Streben, all die Ergebnisse unserer Aktivitäten voller Aufrichtigkeit dem Göttlichen anzubieten, Ihm ständig unser kleines und vergängliches „Ego“ zu schenken, indem wir immer aufmerksam und bewusst sind, offen und nachgiebig für alle Erscheinungen und Zustände, die sich in und durch uns offenbaren, werden wir beginnen, schrittweise diese höchste Freiheit zu erlangen, weil wir von dem Moment an, in dem wir den Höchsten Willen durch uns handeln und uns in all unserem Tun führen lassen, blitzschnell aus dem Bereich der Beeinflussung durch die Gesetze „unseres Universums“ herauskommen und deshalb mit der Höchsten Harmonie, die Gott ist, in Resonanz treten.
Der große Yogi Swami Vivekananda sagt in seinem Buch über Karma Yoga Folgendes:
„ Wer kann für nur einen Augenblick leben oder atmen, wenn der Allmächtige es nicht will?“
„ Gott ist die allmächtige Vorsehung, die ewig aktiv ist. Jede Kraft der Manifestation gehört nur Ihm und ergibt sich einzig Ihm. Gott ist ALLES und Er ist in ALLEM gegenwärtig. Wir können Ihn nur verehren. Deshalb strebe nicht danach, die Früchte deiner Arbeit für dich selbst zu sammeln, sondern tue losgelöst Gutes um Gottes willen. Nur dann wirst du die vollkommene Losgelöstheit erlangen. Nur dann werden die beängstigenden Fesseln, die durch die Sinne und den Verstand geschaffen wurden, zerstört und nur dann wird unsere völlige Freiheit wiedererlangt werden. Diese Höchste Freiheit ist das essentielle Ziel im Karma Yoga System.“